Aufzeichnungen aus der Betrachtung über Johannes 11,45–12,28 – Hückeswagen 2024
Einleitende Gedanken

Das Johannes-Evangelium stellt uns in einer einzigartigen Weise Jesus Christus als den Sohn Gottes vor. In dem bisherigen Verlauf von Johannes 11 wurde diese Herrlichkeit als Sohn Gottes in der Auferweckung des Lazarus sichtbar. Vers 4 ist dabei der Schlüsselvers dieses Kapitels. Und diese seine Herrlichkeit als Sohn Gottes reicht bis in die Anfangs-Szene von Kapitel 12, wo Ihm bei dem Abendessen durch das Salben seiner Füße Anbetung als dem Sohn Gottes gebracht wird. Ab Kapitel 12,12 wird uns dann eine weitere Herrlichkeit seiner Person vorgestellt: Bei seinem Einzug in Jerusalem auf einem Eselsfohlen wird Ihm die Ehre als König Israels, als Sohn Davids, gegeben. Eine dritte Herrlichkeit finden wir dann ab Kapitel 12,20: Dort wird der Herr Jesus als Sohn des Menschen vorgestellt. Auch diese Herrlichkeit, die in Verbindung steht mit den Griechen, die Jesus sehen wollen, wird uns sicher noch beeindrucken.

Dieses wunderbare Evangelium stellt uns den Sohn Gottes auch als das wahrhaftige Licht vor. In den Kapiteln 3 bis 7 liegt der Schwerpunkt auf dem Gedanken, dass der Herr Jesus das Leben ist; in den Kapiteln 8 bis 12 finden wir Ihn als das Licht, und in den Kapiteln 13 bis 17 liegt der Schwerpunkt auf der Liebe. Leben – Licht – Liebe: das Thema von Johannes.

Wie ein natürlicher Tagesverlauf einen Sonnenaufgang, eine Mittagssonne und eine Abendsonne kennt, so erscheint der Herr auch in diesem Evangelium als das Licht. Schon im ersten Kapitel wird Er als das wahrhaftige Licht bezeichnet, das, in die Welt kommend, jeden Menschen erleuchtet (s. Joh 1,9). In diesem Bild gesprochen haben wir hier den Sonnenaufgang. In Johannes 8,12 hören wir dann seine Worte: „Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ Hier ließe sich von der Mittagssonne sprechen. Wenn wir dann zu Johannes 12,35 kommen, könnten wir sagen, dass es sich dort um die Abendsonne handelt. Dort sagt der Herr: „Noch eine kleine Zeit ist das Licht unter euch. Wandelt, während ihr das Licht habt, damit nicht Finsternis euch ergreife!“

In Johannes 11 hatte uns außerordentlich beeindruckt, dass wir den Herrn gesehen haben, wie Er in einer Person Gott und Mensch zugleich ist. Einerseits erweist Er sich als Sohn Gottes durch Toten-Auferstehung, wie Er das an Lazarus gezeigt hat. Er ist der Sohn Gottes, der ruft, und der Tote kommt heraus – eine Machtentfaltung des Sohnes Gottes. Aber andererseits sehen wir zugleich auch den Menschen Jesus Christus, der tiefstes Mitgefühl zeigt, der mit den Weinenden weint und Tränen vergießt.

Durch das Kapitel 11 ziehen sich ja wie eine rote Linie mehrere Beschreibungen von Tätigkeiten unseres Herrn: Jesus hörte (s. V. 4) – Jesus liebte (s. V. 5) – Jesus blieb (s. V. 6) – Jesus kam (s. V. 17) – Jesus vergoss Tränen (s. V. 35) – Jesus spricht (s. V. 39) – Jesus rief (s. V. 43). So konnten wir den Herrn in dem, was Er dort in Bethanien tat und empfand, begleiten bis hin zur Auferweckung des Lazarus.

„Viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen waren und sahen, was er getan hatte, glaubten an ihn. Einige aber von ihnen gingen hin zu den Pharisäern und sagten ihnen, was Jesus getan hatte“ (V. 45.46).

Dieses Ereignis der Auferweckung von Lazarus war unter den Juden von großer Bedeutung, es wird in Johannes 12,18 ausdrücklich ein Zeichen genannt. Viele der Juden glaubten deswegen an den Herrn Jesus, ähnlich wird es dann auch in Johannes 12,11 gesagt. Diese Handlung des Herrn war also ein besonderes Zeugnis, das die Menschen ansprach. Und wie es immer ist: Die Menschen werden dadurch vor eine Entscheidung gestellt. Der Herr hatte selbst einmal gesagt: „Denkt nicht, dass ich gekommen sei, Frieden auf die Erde zu bringen; ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert“ (Mt 10,34). Da, wo Er redete oder wirkte, da wurden die Menschen vor eine Entscheidung gestellt.

In den Versen, die jetzt vor uns kommen, finden wir ganz unterschiedliche Reaktionen auf diese Auferweckung des Lazarus. Das ist schon auffallend, weil es ja nicht die erste Auferweckung war, die durch den Herrn geschehen war. Er hatte sowohl die Tochter von Jairus als auch bei Nain den Sohn der Witwe auferweckt – beides war im Norden, in Galiläa geschehen. Aber diese Auferweckung geschah direkt vor den Toren Jerusalems, im unmittelbaren Blickfeld derer, die sich als die Führer des irdischen Volkes Gottes verstanden. Wie würden gerade sie mit dieser Tat des Herrn direkt vor ihren Augen umgehen? Er hatte sich ja dadurch als Sohn Gottes erwiesen. Bei einigen von ihnen führte es tatsächlich dazu, dass sie sich in ihrem Hass gegen den Herrn Jesus sogar noch steigerten.

Aber es gab unter den Juden auch viele, die glaubten. Viele von den Juden waren zum Trösten von Martha und Maria nach Bethanien gekommen (s. Joh 11,19). Sie hatten gesehen, was an der Gruft von Lazarus geschehen war, und sie hatten geglaubt. Das ist typisch jüdisch: Sie sahen und glaubten. Aber es waren viele, das ist doch schön! Es war eine große Volksmenge, die dann später in Johannes 12,9 nach Bethanien kam, weil Er dort war, und die einen Tag später auch nach Jerusalem kam, weil sie gehört hatte, dass Er nach Jerusalem kommen würde (s. Joh 12,12). Die Auferweckung des Lazarus war so ein herrliches Zeugnis von Ihm als dem Sohn Gottes, dass es viele beeindruckt hatte.

Ob das wirklich ein Glaube war, der ihre Herzen überwunden hatte, kann man dieser Bemerkung nicht entnehmen; schon gar nicht, wenn man das weitere Vorgehen sieht. Wir haben schon ganz am Anfang dieses Evangeliums gesehen, dass es immer wieder viele unter den Juden gab, die glaubten, wenn sie die Zeichen des Herrn sahen (s. z. B. Joh 2,23). Doch fast immer war es keine Herzensüberzeugung, sondern nur ein Für-wahr-Halten dessen, was sie erlebt hatten. Aber immerhin wandten sie sich nicht von dem Herrn ab, so auch hier. Das ist zwar immer noch zu wenig, aber es ist eben auch keine Ablehnung seiner Person.

Leider gab es aber auch einige unter ihnen, die nicht glaubten, und die sich trotz dieses klaren Wunders doch gegen den Herrn Jesus entschieden und sich auf die Seite der religiösen Führer des Volkes stellten. Sie hatten genau wahrgenommen, was der Herr Jesus getan hatte, aber sie gehörten nicht zu denen, die den Herrn wenigstens äußerlich annahmen.

Auffallend ist, dass hier nur von Maria gesprochen wird, von Martha ist keine Rede. Andererseits war es ja auch Maria gewesen, die den Herrn zu der Gruft geführt hatte, in der Lazarus schon vier Tage gelegen hatte. Und der Schreiber des Evangeliums stellt jetzt überhaupt nicht die aufsehenerregende Person des Lazarus vor, sondern lenkt unsere Aufmerksamkeit nur auf das hin, was der Herr getan hat. Er ist es, der den Vorrang hat vor allen.

„Da versammelten die Hohenpriester und die Pharisäer das Synedrium und sprachen: Was tun wir? Denn dieser Mensch tut viele Zeichen. Wenn wir ihn so gewähren lassen, werden alle an ihn glauben, und die Römer werden kommen und sowohl unseren Ort als auch unsere Nation wegnehmen“ (V. 47.48).

Hier finden wir eine weitere entgegengesetzte Reaktion: Die obersten religiösen Führer des Volkes Gottes wurden in ihrem Hass gegen den Herrn noch erbitterter. Sie hatten sich schon längst gegen den Herrn entschieden, ihre Ablehnung des Herrn war eindeutig. Jetzt riefen sie das Synedrium – den obersten Rat der Juden – zu einer Art Krisensitzung zusammen. Angesichts dieses großen Wunders suchten sie einen Weg, Ihn doch noch loszuwerden. Ihr Hoherpriester selbst forderte sogar den Tod des Herrn Jesus. Hinter all ihrem Hass und ihrer Entschlossenheit sehen wir auch, welche Macht Satan über diese Menschen ausübte, dass sie den Herrn Jesus nicht haben wollten.

Dass die Hohenpriester und die Pharisäer hier gemeinsame Überlegungen anstellten, ist auffallend, denn an sich waren sie untereinander verfeindet. Es waren zwei rivalisierende Gruppen: die Hohenpriester und die Sadduzäer einerseits (s. Apg 5,17), und die Pharisäer andererseits (s. Apg 23,7.8). Die eine dieser beiden Gruppen musste eigentlich das, was mit Lazarus geschehen war, leugnen, denn sie sagten, es gebe keine Auferstehung. Die Pharisäer dagegen glaubten durchaus an die Auferstehung. Aber wenn es um den Hass gegen Gott und seinen Christus geht, dann können sich auch Feinde miteinander verbünden. Das sehen wir auch bei Herodes und Pilatus (s. Lk 23,12; Apg 4,27). Wenn man sich dem Bösen öffnet und gegen Christus steht, öffnet man sich für jeden verderblichen Einfluss.

Aber wir stellen auch fest, dass sie in dieser Krisensitzung mit all ihren menschlichen Überlegungen und ihrer Logik total falsch lagen. Wenn hier ihre erste Überlegung war, dass die Römer kommen und ihre Nation wegnehmen würden, wenn sie Ihn gewähren lassen würden, dann ist ja gerade das Gegenteil eingetreten: Sie hatten Ihn nicht gewähren lassen, und trotzdem waren die Römer gekommen und hatten Jerusalem erobert und den Tempel zerstört (vgl. Dan 9,26). Gerade weil sie den Messias verworfen hatten, waren die Römer gekommen und hatten Jerusalem zerstört. Und in Markus 14,1.2 hatten sie überlegt, den Herrn Jesus nicht an dem Fest zu greifen und zu töten, damit nicht ein Aufruhr unter dem Volk entsteht. Nun musste der Herr aber an dem Passahfest leiden und sterben; aber genau das Gegenteil ihrer Befürchtung war eingetreten: Es löste überhaupt keinen Aufruhr unter dem Volk aus, sondern es forderte geradezu den Tod des Herrn (s. Mk 15,12–15). Menschliche Logik und Strategie führt nicht zum erwarteten Erfolg, wenn Gott außen vor gelassen oder sogar gegen Ihn gehandelt wird. Das ist auch heute bei all den Krisen auf dieser Erde nicht anders.

Sie sagten von Ihm, dass „dieser Mensch viele Zeichen tut“. Diese Kombination (ein Mensch, der Zeichen tut) zeigt den Unglauben dieser religiösen Führer. Gerade die vielen Zeichen, die der Herr Jesus getan hatte, wiesen Ihn aus als einen, der mehr ist als nur ein Mensch! Johannes 20,30.31 erklärt uns, wozu diese Zeichen dienen: dass man glaubt, dass Jesus der Christus (und nicht ein Mensch) ist, und damit man glaubend Leben hat in seinem Namen. Die innere Haltung dieser religiösen Führer war aber völlige Ablehnung des Herrn Jesus – wider besseres Wissen. In ihren Worten über den Herrn wird genau das Gegenteil von dem, was Johannes 20 sagt, deutlich.

Doch indirekt stellen sie dem Herrn Jesus mit ihren Worten auch ein Zeugnis aus, wenn sie sagen, dass alle an Ihn glauben werden. Sie geben damit zu, dass diese Zeichen so groß waren, dass man sie nicht wegdiskutieren kann und dass sie dazu führen, an den Herrn Jesus zu glauben. Dann würden die Juden Ihm folgen und nicht mehr ihren religiösen Führern nachlaufen, die somit nicht mehr die Lehrer des Volkes wären. In ihren Überlegungen offenbart sich auch gekränkter Hochmut und die Sorge, sie würden ihre Nachfolgerschaft an den verhassten Jesus verlieren.

Diesen Führern wird berichtet, was Jesus getan hatte, und jetzt fragen sie sich, was sie im Gegensatz dazu tun sollen. Der Herr tat sehr viel, und die religiösen Führer waren scheinbar untätig. Aber sie waren entschieden in ihrer Ablehnung der Person des Herrn Jesus. Wenn auch schon vorher in ihren Herzen der Entschluss gereift war, den Herrn Jesus töten zu wollen (vgl. Joh 5,16.18), und sie mehrmals versucht hatten, Ihn zu greifen (vgl. Joh 7,30; 10,39), so gehen sie hier doch noch einen Schritt weiter, denn sie versammeln das ganze Synedrium zu dieser Frage. Hier versammelt sich der Hohe Rat der Juden, um ganz offiziell darüber zu beschließen, dass der Herr Jesus beseitigt werden muss. Ihre Ablehnung erreicht damit einen weiteren Höhepunkt.

In den Gedanken dieser Führer, die hier zum Ausdruck kommen, hatte Gott gar keinen Raum mehr. Sie sahen in ihrem totalen Unglauben gar nicht mehr, dass das Volk der Juden Gottes auserwähltes Volk war, und dass in Jerusalem das Heiligtum Gottes stand. Für sie war es unser Ort und unsere Nation.

Als dieses Volk in der Zeit Samuels einen König begehrte, sagte Gott zu Samuel: „Nicht dich haben sie verworfen, sondern mich haben sie verworfen, dass ich nicht König über sie sein soll“ (1. Sam 8,7). Ein sehr ernster Ausdruck, der sozusagen die erste Epoche der Geschichte des Volkes Israel beendet. Sie hatten ihren Gott verworfen; und doch hatte Gott in David wieder einen Neuanfang mit diesem Volk gemacht. Doch das Ende dieser Epoche war der Götzendienst des Volkes, „bis der Grimm des HERRN gegen sein Volk stieg, dass keine Heilung mehr war“ (2. Chr 36,16). Da hatte Gott sein Volk verworfen und es musste in die Gefangenschaft gehen.

Hier im Neuen Testament haben wir den zurückgekehrten Überrest, der sich in einer hochmütigen, stolzen und übermäßig selbstbewussten Art als das Volk Gottes sah – und doch als Volk gar keine Beziehung mehr zu seinem Gott hatte. Der Ort, den Gott erwählt hatte, um seinen Namen dort wohnen zu lassen, war ihr Ort geworden. Darin offenbart sich der Zustand der Führer und auch der Masse des jüdischen Volkes: Sie beschäftigten sich so sehr damit, wer sie waren. Sie waren das auserwählte Volk Gottes, sie waren die einzige Nation auf der Erde, der Gott sich offenbart hatte, sie waren die Einzigen, die das Wort Gottes besaßen. Es gab keine Nation, die solche Vorrechte besaß; und in den Jahrhunderten, bevor der Herr Jesus „in das Seine kam“ (Joh 1,11), hatten sie einen derartigen Stolz auf diese Vorrechte entwickelt, dass sie Gott dabei aus den Augen verloren hatten. Sie hatten noch das Bekenntnis, auf den Messias zu warten, aber bis auf einen kleinen gläubigen Überrest erwarteten sie Ihn nicht wirklich. Und als der Messias dann kam, wollten sie Ihn nicht und verwarfen Ihn. Der Sohn Gottes, der Sohn des Gottes, dem sie zu dienen vorgaben, war in ihrer Mitte, und sie wollten Ihn nicht. Damit hatte Israel Gott verworfen. Und gerade im Johannes-Evangelium wird diese Verwerfung des Herrn durch sein irdisches Volk von Anfang an immer wieder herausgestellt. Sie wollten Ihn nicht, weil Er ihre Selbstherrlichkeit und ihre Selbstzufriedenheit dadurch störte, dass Er sie zur Buße aufforderte. Buße zu tun waren sie nicht bereit. Diese geistliche Führerschaft hatte nur das Ziel, dass ihre Stellung innerhalb des Volkes aufrechterhalten blieb. Deshalb gab es für sie nur die eine Konsequenz und den einen Weg, dass Er, was ihre Verantwortung betrifft, weggetan werden und sterben musste. Dass der Herr nach dem Ratschluss Gottes sterben musste, ist eine andere und viel höhere Seite, die aber von dieser Verantwortung der Menschen nichts wegnimmt.

Mit dem, was diese Gruppe insgesamt beriet, waren zwei aus ihrer Mitte nicht einverstanden: Joseph von Arimathia und Nikodemus. Nikodemus hatte in Johannes 7,50.51 schon einmal vorsichtig Einspruch eingelegt. Und bei Joseph von Arimathia heißt es ausdrücklich, dass er nicht eingewilligt hatte in ihren Rat und ihre Tat (s. Lk 23,51). Wir sehen darin, dass Gott auch in den finstersten Umständen in der Lage ist, sich einen Überrest zu seiner Ehre zu erhalten. Auch in den Sendschreiben sehen wir in jeder der sieben Versammlungen, dass es dort einen Überrest gab.

„Ein Gewisser aber von ihnen, Kajaphas, der jenes Jahr Hoherpriester war, sprach zu ihnen: Ihr wisst nichts und überlegt auch nicht, dass es euch nützlich ist, dass ein Mensch für das Volk sterbe und nicht die ganze Nation umkomme“ (V. 49.50).

Wieder spricht Kajaphas von dem Herrn Jesus als einem Menschen, wie vorher die Hohenpriester und Pharisäer insgesamt. Und was er hier herabwürdigend im Blick auf den Herrn Jesus sagt, ist Wirklichkeit geworden. In seiner tiefen Erniedrigung hat Er in Gnade diesen Platz eingenommen, um das große Werk Gottes zu tun!

Moralisch gesehen war Kajaphas ein absoluter Feind des Herrn. Später führt er eine Scheinverhandlung gegen den Herrn (s. Mt 26,57–68), zu der auch er selbst falsche Zeugen gesucht hatte, um den Herrn Jesus zu Tode zu bringen. Und auch in Apostelgeschichte 4 und 5 wird sein feindseliger Charakter dem neuen christlichen Glauben gegenüber ganz deutlich.

Dass er jenes Jahr Hoherpriester war, zeigt, wie sehr die Dinge im Volk Gottes in Unordnung und gegen Gottes Anweisungen geraten waren. Statt dass es einen Hohenpriester gab, der bis an sein Lebensende Hoherpriester blieb, gab es zu jener Zeit mehrere gleichzeitig, die sich scheinbar miteinander in dieser Stellung abwechselten. Nach Gottes Gedanken war immer der erste Sohn des amtierenden Hohenpriesters auch sein Nachfolger und blieb es sein Leben lang. Schon im Alten Testament gab es Abweichungen davon. Der Hohepriester Eli war kein Nachkomme des Hohenpriesters Eleasar, des dritten Sohnes Aarons. Er stammte von Ithamar ab, und wie es zu dieser Unregelmäßigkeit kam, wissen wir nicht genau. Gott hatte zu Eleasar gesagt, dass sein Priestertum ein ewiges Priestertum sein würde, es sollte bestehen bleiben, solange die Erde besteht; aber schon zur Zeit Elis war das unterbrochen worden. Und zur Zeit Davids gab es sogar zwei Hohepriester, nämlich Zadok und Abjathar. Zadok stammte von Eleasar ab, Abjathar aber von Ithamar. Das Priestertum Abjathars sollte ihm weggenommen werden. Im Tausendjährigen Reich wird ein Nachkomme Zadoks das Hohepriesteramt ausüben (s. Hes 44,15.16).

Diese Abweichungen von der Ordnung Gottes im Blick auf das Hohepriesteramt finden wir schon im Alten Testament. Nach der babylonischen Gefangenschaft, in den 400 Jahren des Schweigens Gottes zwischen dem Alten Testament und dem Neuen Testament, muss dieses Amt in der großen Verwirrung dieser Zeit praktisch wie ein Herrschaftsamt ausgeübt worden sein. Auch existierten mehrere Familien gleichzeitig oder nebeneinander in diesem Amt. Daraus entstand dieser Wechsel, dass in einem Jahr jemand aus der einen Familie und im nächsten Jahr jemand aus der parallelen Familie dieses Amt ausübte. Das stand alles in deutlichem Gegensatz zu den Gedanken Gottes. Aber Er griff nicht in richterlicher Weise ein, sondern erkannte es sogar in gewisser Hinsicht an.

Gott benutzt diesen Mann, weil er jenes Jahr Hoherpriester war, und bringt ihn dazu, etwas zu sagen, was als Weissagung bezeichnet wird. Es ist in seiner bösen Absicht absolut kaltblütig und zynisch, denn er sagt im Grunde genommen, dass dieser Mensch Jesus sterben muss, damit das Problem gelöst wird. Absolut boshafte Worte, und es ist für uns auch schwer zu verstehen, dass Gott einem Mann aus solch einer Familie in dieser bestehenden Unordnung eine solche Weissagung eingab! Aber wir haben ein vergleichbares Beispiel im Alten Testament bei Bileam (s. 4. Mo 22–24). Eigentlich sollte er das Volk Gottes verfluchen, aber Gott gab ihm vier Aussprüche ein, mit denen er das Volk Gottes segnen musste. Wir sehen in diesen Beispielen etwas von der Souveränität Gottes, der solchen, die Feinde Gottes und seines Volkes sind, solche Aussprüche in den Mund legen kann. Sie sind unwissende Werkzeuge in der Hand eines allwissenden Gottes.

In Johannes 18,14 wird dieser Rat Kajaphas’ noch einmal erwähnt. Es ist im Evangelium von Johannes sehr auffällig, dass er mehrere Male zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt Dinge erwähnt, die sich vorher ereignet hatten (s. z. B. Joh 4,46; 21,20). Damit unterstreicht der Heilige Geist diese Begebenheiten und will uns noch einmal daran erinnern. Zweimal erwähnt er sogar Dinge, die erst später geschahen: zum einen die Tatsache, dass Maria die Füße des Herrn Jesus gesalbt hat (s. Joh 11,2); und zum anderen die Tatsache, dass Judas den Herrn Jesus überliefern würde (s. z.B. Joh 6,71; 12,4; 13,2).

Der, der eigentlich der Repräsentant Gottes inmitten des Volkes war, der zwischen Gott und dem Volk stand, wird angetrieben von rein menschlichen Zweckmäßigkeitserwägungen. Er war derjenige, der Gottes Wort zu dem Volk bringen sollte, aber Gott kommt in seinen Überlegungen überhaupt nicht vor. Er war ein kluger und geschickter Politiker, ein Opportunist, den Nützlichkeits-Erwägungen antrieben, aber auf Kosten der Moral. Was für ein krasser Widerspruch zu seinem Amt als Hoherpriester! Wie konnte er einen Menschen umbringen wollen, der gerecht und heilig ist?

Wenn wir die Worte Kajaphas’ mit den Gedanken Gottes vergleichen, kommen wir zu sehr bewegenden Wahrheiten:

  • es ist euch nützlich: Wenn jemals schuldige und verlorene Sünder gerettet werden sollten, dann war es nicht nur nützlich, dann war es absolut notwendig, dass der Herr Jesus sterben musste. Es gab überhaupt keinen anderen Weg zur Rettung verlorener Menschen.
  • ein Mensch: Für Kajaphas ging es einfach nur darum, dass ein Mensch für das Volk sterben sollte; aber es gab gar keinen anderen Menschen, der dieses Werk vollbringen konnte. Nur dieser eine reine und sündlose Mensch konnte stellvertretend für andere Menschen sterben.
  • ein Mensch: Ja, es musste ein Mensch sein, der für andere Menschen sterben würde; es war notwendig, dass der Herr Jesus Mensch wurde! Wie tief hat sich der Herr Jesus herabgeneigt, dass Er Mensch geworden ist, um für Menschen sterben zu können.
  • für das Volk: Der Herr Jesus würde ein sühnendes Opfer bringen, aber nicht nur für die Nation allein; Er ist zugunsten von allen Menschen gestorben. Mit der Präposition hyper, die in diesen beiden Versen dreimal gebraucht wird, wird nicht in erster Linie die Seite der Stellvertretung betont, sondern die ganze unfassbare Reichweite seines Todes: Er ist nicht im Blick auf die Nation allein gestorben.
  • für das Volk: Der Herr Jesus würde durch seinen Tod nicht diese böse Nation vor der Zerstreuung durch die Römer bewahren; Gottes Absicht war, dass Er durch den Tod des Herrn Jesus die zerstreuten Kinder Gottes sammeln würde.

Es ist interessant, dass es in der Geschichte des irdischen Volkes Gottes schon einmal diese Zuspitzung gab, dass einer stellvertretend für das ganze Volk Israel sein Leben einsetzen sollte: Goliath forderte einen Mann, der zu ihm herabkommen und mit ihm kämpfen sollte; und von dem Ausgang dieses Kampfes sollte das Schicksal des ganzen Volkes abhängen (s. 1. Sam 17,8–10).

„Dies aber sagte er nicht von sich selbst aus, sondern da er jenes Jahr Hoherpriester war, weissagte er, dass Jesus für die Nation sterben sollte; und nicht für die Nation allein, sondern damit er auch die zerstreuten Kinder Gottes in eins versammelte“ (V. 51.52).

Diese beiden Verse sind ein Kommentar des Heiligen Geistes. Gott steht immer über allem. Selbst die bösesten Absichten der Menschen kann Gott gebrauchen, um seinen Ratschluss in Erfüllung gehen zu lassen (vgl. 1. Mo 50,20). Der Herr sollte tatsächlich für die Nation sterben, Er würde sein Volk von ihren Sünden erretten (s. Mt 1,21), wegen der Übertretung seines Volkes hat Ihn Strafe getroffen (s. Jes 53,8). Für diese schuldige Nation der Juden musste der Herr Jesus sterben, damit es für dieses Volk eine Zukunft gibt! Das ist auch im Johannes-Evangelium, das ja überwiegend den Blickwinkel des Kommens des Herrn für die ganze Welt hat, kein Nebengedanke! Er lässt sein Leben für sein Volk, das war ein Herzensanliegen für Ihn. Sogar bei der Einsetzung des Gedächtnismahles spricht Er von dem Blut des neuen Bundes (s. Mt 26,28; Mk 14,24; Lk 22,20). Dieser Bund wird nicht mit den Gläubigen der Gnadenzeit geschlossen, sondern mit dem Volk Israel. Und das erste der sieben Worte, die der Herr am Kreuz gesprochen hat, beschäftigen sich mit der Zukunft dieses Volkes (s. Lk 23,34). Nur dadurch gibt es die Möglichkeit für dieses Volk, Vergebung zu erlangen.

Der Mordplan Kajaphas’ war kaltblütig und von egoistischen und politischen Nützlichkeitserwägungen geleitet, aber aus der Sicht Gottes war eine ganz andere Absicht mit dem Tod des Herrn Jesus verbunden. Trotz des Unglaubens und des Versagens dieses Volkes wird Gott mit seinen Plänen mit diesem Volk zum Ziel kommen. Durch das Sterben des Herrn Jesus kann Er alle seine Verheißungen im Blick auf dieses Volk in Erfüllung bringen.

Gott legt jetzt seine höheren Gedanken über den Ratschlag des Kajaphas und zeigt uns, was ebenfalls seine Grundlage hat in dem Tod des Herrn Jesus – die wunderbare Einheit der Familie Gottes in der Zeit der Gnade. Der Blick wird jetzt geweitet: Dieser Jesus ist nicht nur der Messias für diese Nation, sondern Er ist auch der Heiland der Welt! Und Er würde sterben, um zu sammeln. Was für ein wunderbares Ergebnis seines Sterbens: Die zerstreuten Kinder Gottes werden in eins versammelt! Das hatte es vorher nicht gegeben. Es gab einzelne Gläubige, sowohl im Volk Israel als auch außerhalb dieses Volkes; aber durch den Tod des Herrn würden nicht nur einzelne Gläubige aus den Juden, sondern darüber hinaus aus allen Nationen zu einer Familie gesammelt werden. Nur dadurch kann es heute in der Zeit der Gnade diese Einheit in der Familie Gottes geben.

Einen ähnlichen Gedanken haben wir in Römer 15,8.9, wo wir auch sehen, mit welcher Zielsetzung der Herr Jesus Mensch geworden ist. Er ist gekommen und gestorben, damit Israel eine Zukunft hat, damit die Verheißungen an die Väter fest sind und später ihre Erfüllung finden. Und auch hier wird der Blick dann geweitet und auf die Nationen gelenkt; und das Großartige ist, dass die dazu angeführten Stellen aus dem Alten Testament nicht nur eine Erfüllung im Blick auf die Zukunft haben, sondern hier verwendet werden, um die Berechtigung des Evangeliums für alle Nationen in der jetzigen Zeit der Gnade zu zeigen.

Es gab zu dieser Zeit ein Volk Gottes, aber dieses Volk bestand nicht nur aus glaubenden Menschen. Sie waren nur als Nation ein Volk, in dem es einzelne Gläubige gab. Aber wir haben schon in Johannes 1,12 gesehen, dass allen, die den Herrn angenommen hatten, das Recht gegeben wurde, Kinder Gottes zu werden. Es gab auch schon außerhalb der jüdischen Nation einzelne erlöste Menschen, die sich bis dahin überhaupt nicht miteinander verbunden wussten. Und diese zerstreuten Kinder Gottes sollen jetzt in eins versammelt werden. In dem Bild von Hirte und Herde hatten wir diesen Gedanken schon in Johannes 10,16: Die Schafe aus dem jüdischen Schafhof würden dort hinausgeführt werden und mit den Schafen zusammengeführt werden, die nicht aus diesem Hof sind – „und es wird eine Herde, ein Hirte sein“. Johannes hat ja in seinen Schriften nicht so sehr den Gesichtspunkt der Versammlung vor sich, sondern den Aspekt der Familie Gottes.

Kinder Gottes werden zu können, ist eine wunderbare Segnung der christlichen Haushaltung (vgl. 1. Joh 3,1)! Es gab auch zu alttestamentlichen Zeiten Menschen, die an Gott glaubten und von neuem geboren waren, aber sie kannten Gott noch nicht als ihren Vater. Es braucht Voraussetzungen dafür, Kind Gottes werden zu können. Der Sohn Gottes selbst musste kommen und aufgenommen werden; Er musste den Vater offenbaren; Kinder Gottes kennen und genießen die Gemeinschaft mit dem Vater und mit dem Sohn. Und um diese Gemeinschaft überhaupt genießen zu können, musste der Heilige Geist auf diese Erde herabkommen, der uns das Bewusstsein davon schenkt. Das macht deutlich, dass dieses „in eins versammeln“ historisch gesehen erst mit dem Pfingsttag in Apostelgeschichte 2 begonnen hat.

Im Blick auf die Gläubigen der Gnadenzeit finden wir drei verschiedene Gesichtspunkte von Einheit, die wir unterscheiden können, die wir aber nicht voneinander trennen dürfen, denn es ist eine Sache. Und sie hat einen sehr hohen Wert in den Augen Gottes. Um diese Einheit der Kinder Gottes in der Zeit der Gnade möglich zu machen, musste der Herr Jesus sein Leben geben. Welch einen Wert hat dieses Leben des Herrn Jesus, dass es die Grundlage dafür ist, dass durch das Hingeben dieses Lebens die zerstreuten Kinder Gottes in eins versammelt werden. An den herrlichen Ergebnissen des Hingebens dieses Lebens können wir ermessen, welchen Wert dieses Leben in den Augen Gottes hat. Wir unterscheiden also diese drei Gesichtspunkte:

  • Die Einheit der Herde Gottes (s. Joh 10,16); auch dafür ist der Tod des Herrn Jesus, des Guten Hirten, die Grundlage. Die verbindende Person dieser einen Herde ist der Hirte.
  • Die Einheit der Familie Gottes (s. Joh 11,52; 17,20.21); die Grundlage dafür, dass diese Einheit der Familie Gottes entstehen konnte, ist wieder der Tod des Herrn Jesus. Das verbindende Element dieser Einheit ist die Liebe des Vaters.
  • Die Einheit in der Versammlung Gottes, die Einheit des Leibes (s. Eph 2,14–16); die Grundlage dafür ist Golgatha. Die verbindende Person dieser Einheit ist Christus, das Haupt.

Es gibt also offensichtlich jemanden, der sammelt. Der Herr Jesus ist der Sammelnde. Er wird auch sein irdisches Volk wieder sammeln von den Enden der Erde (s. Jes 43,5–7). Aber es gibt auch einen Widersacher, den Teufel, und der zerstreut. „Der Wolf raubt sie und zerstreut die Schafe“ (Joh 10,12). Und trotz dieser zerstörerischen Bemühungen des Teufels dürfen wir uns in unseren Tagen hier auf der Erde immer wieder versammeln, versammeln zu seinem Namen hin (s. Mt 18,20). Und dann liegt noch ein ganz erhabenes Versammeltwerden vor uns, „unser Versammeltwerden zu ihm hin“ (2. Thes 2,1). Was wird das sein, wenn der Herr Jesus zur Entrückung wiederkommt! Die Toten in Christus werden zuerst auferstehen, und die lebenden Gläubigen werden verwandelt werden; und dann wird es eine gewaltige Versammlung aus gläubigen Menschen geben, die dann in einem Nu in den Himmel entrückt werden.

Wenn wir das so vor uns haben, drängt sich unseren Herzen und Gewissen die ernste Frage auf: Sind wir nützliche Werkzeuge in der Hand dessen, der sammelt, oder sind wir Werkzeuge in der Hand dessen, der zerstreut?

Praktischer Nebengedanke zu der Einheit der Kinder Gottes

Wie können wir die Einheit der Kinder Gottes heute noch verwirklichen? Wie können wir heute die Liebe zu allen Heiligen (s. Eph 1,15) beweisen? Indem wir alle zum Brotbrechen einladen?

Derselbe Johannes schreibt in seinem ersten Brief darüber, wie wir diese Liebe zu den Mitgläubigen beweisen können: „Hieran erkennen wir, dass wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten“ (1. Joh 5,2). Die Liebe zu den Kindern Gottes zeigt sich darin, dass wir Gott lieben und seine Gebote halten – das ist der Maßstab. Und zu Beginn dieses Briefes schreibt Johannes, was die Gemeinschaft der Gläubigen im Kern ist. Die Glaubenden der Familie Gottes sollen Gemeinschaft haben, und zwar „mit uns“, mit den Aposteln, und mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus (s. 1. Joh 1,3). Gemeinschaft in der Familie Gottes ist also eine Gemeinschaft, die Gottes Gebote beachtet, und die die Lehre der Apostel beachtet. Wollen wir Gemeinschaft mit Gläubigen üben, müssen wir also fragen, ob das volle apostolische Wort anerkannt und praktiziert wird. Wie sieht es in der Praxis z. B. aus mit den klaren Aussagen aus dem ersten Korintherbrief? Werden die Gedanken über die Zucht noch akzeptiert (s. 1. Kor 5)? Wird die gemeinsame Verantwortung am Tisch des Herrn noch praktiziert (s. 1. Kor 10)? Wird der freien Wirksamkeit des Heiligen Geistes noch Raum gelassen (s. 1. Kor 12)? Wird das Schweigen der Frauen in den Zusammenkünften noch beachtet (s. 1. Kor 14)? Das sind nur einige Teile des apostolischen Wortes, und wenn wir darin keine Übereinstimmung haben, ist auch keine ungetrübte Gemeinschaft miteinander möglich. Wenn diese Dinge bewusst abgelehnt werden, ist ungehinderte Gemeinschaft nicht möglich.

Ist es nicht gerade das Problem unserer Tage, dass das apostolische Wort zur Disposition gestellt wird oder sogar abgelehnt wird? Liebe zu allen Heiligen ist kein Widerspruch zur Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes. Wir können nicht Liebe auf Kosten der Heiligkeit üben. Wir freuen uns über neues Leben bei unbekannten Gläubigen, die wir treffen, und wir denken beim Brotbrechen auch an alle wahren Kinder Gottes auf der Erde; aber wir wollen niemandem die Hände schnell auflegen (s. 1. Tim 5,22). Unsere Liebe zu ihnen äußert sich darin, dass wir das Beste für sie zu tun wünschen. Tätige Liebe kümmert sich um solche und hilft ihnen zu einem klaren Verständnis über die biblischen Grundlagen christlicher Gemeinschaft.

„Von jenem Tag an beratschlagten sie nun, ihn zu töten. Jesus nun wandelte nicht mehr öffentlich unter den Juden, sondern ging von dort weg in die Gegend nahe bei der Wüste, in eine Stadt, genannt Ephraim; und dort verweilte er mit den Jüngern“ (V. 53.54).

Die Reaktion auf diesen Ratschlag von Kajaphas war, dass die Juden tatsächlich entschlossen waren, den Herrn Jesus zu töten. Es ist hier wohl schon das siebte Mal, dass wir von der Absicht der Juden oder ihrer Führer hören, dass sie den Herrn umbringen wollen. Vers 52 hatte die göttliche Zielsetzung und Interpretation der Worte von Kajaphas gezeigt, aber hier in Vers 53 bewegen wir uns wieder auf der irdischen Ebene. Und doch zeigt uns Apostelgeschichte 4,27.28 die Oberhoheit der Hand Gottes auch in diesem Geschehen. Der ewig festgelegte Ratschluss Gottes musste ohne irgendeine Veränderung geschehen (vgl. Spr 19,21).

Der Herr Jesus verbarg sich. Seine Stunde war noch nicht gekommen; weder die Stunde seiner Annahme als Messias (ab Joh 12,12), noch die Stunde seines Sterbens am Kreuz von Golgatha (ab Joh 12,27). Wir sehen hierin auch seine göttliche Größe und Allwissenheit. Niemand musste Ihm sagen, was dort in dem Synedrium beratschlagt wurde. Er wusste, was in den Herzen der Menschen vor sich ging. Er zog sich zurück, um dann zu dem vom Vater festgelegten Zeitpunkt wieder auf der Szene zu erscheinen – die nach dem Willen der Menschen seinen Tod bringen würde, wo Er als das Passahlamm  verurteilt und geschlachtet werden würde. Er verbarg sich nicht aus Angst vor dem Ratschlag der Juden, die Ihn töten wollten, sondern Er wusste, dass Er noch etwas warten musste.

Und in dieser Zeitspanne blieben die Jünger treu bei Ihm. Das ist doch auch eine Auszeichnung für die Jünger. Trotz der Gefahren, derer sie sich bewusst waren, blieben sie bei dem Herrn. Etwas später erkennt der Herr dieses Ausharren der Jünger mit Ihm ausdrücklich an (s. Lk 22,28).

Vers 54 ist auch ein symbolischer Hinweis auf die Stellung, die der Herr Jesus heute im Blick auf sein irdisches Volk einnimmt. Er wandelt nicht mehr unter den Juden, sondern geht von dort weg. Und bei dem Ort Ephraim, der dann genannt wird, denken wir an den Sohn Josephs aus 1. Mose 41,52 („doppelte Fruchtbarkeit“), den Joseph bekam, ehe er wieder die Verbindung mit seinen Brüdern aufnahm. Dieses alttestamentliche Geschehen ist ein passendes prophetisches Bild: Noch bevor der Herr wieder mit seinem irdischen Volk Israel anknüpfen kann, gibt es doch schon Frucht für Ihn – doppelte Fruchtbarkeit im Blick auf das irdische Volk in der Zukunft und im Blick auf die Gläubigen der Gnadenzeit schon jetzt in der Gegenwart. Die Grundlage dafür ist sein Tod im „Land seines Elends“.

„Es war aber das Passah der Juden nahe, und viele gingen vor dem Passah aus dem Land hinauf nach Jerusalem, um sich zu reinigen. Sie suchten nun Jesus und sprachen, im Tempel stehend, untereinander: Was meint ihr? Dass er nicht zu dem Fest kommen wird?“ (V. 55.56).

Schon mehrmals in diesem Evangelium haben wir gefunden, dass die von Gott angeordneten Feste zu „Festen der Juden“ geworden waren. Natürlich musste das auch den Empfängern dieses Evangeliums erklärt werden. Das Johannes- Evangelium ist ja erst sehr spät geschrieben worden, weshalb sie diese Anordnungen wohl kaum noch kannten. Aber die geistliche Bedeutung dieser Ausdrucksweise liegt doch darin, dass die Juden von der wahren Bedeutung dieser Festtage in ihren Herzen weit entfernt waren.

Aus 5. Mose 16 wissen wir, dass alle Männlichen aus dem Volk Israel dreimal im Jahr nach Jerusalem hinaufziehen sollten: zum Passahfest, zum Fest der Wochen und zum Laubhüttenfest. Hier wird nun besonders betont, dass sie sich reinigen wollten. Stellen wir uns das einmal vor: Da kommt der eine wahrhaft durch und durch Reine, um in Jerusalem sein Werk zu vollbringen; und Er wird von denen, die hier eine äußere rituelle Form der Reinigung an sich vollzogen, die aber offenbarten, wie unrein sie in ihren Herzen waren, zum Tod verurteilt. In Johannes 18,28 wird von ihnen noch einmal bestätigt, dass sie sich nicht verunreinigen wollten, um das Passah essen zu können. Wie Gott über diese rein äußerliche Reinigung urteilt, von der das Herz unberührt bleibt, lesen wir in Jesaja 1,14–17 oder auch Amos 5,21–23.

Die Ereignisse mit dem letzten Passah in den Evangelien nehmen jetzt ihren Lauf. Jetzt geht es darum, diesen Weg nach Jerusalem wirklich zu gehen, um das wahre Passahlamm zu werden, um das Werk der Erlösung zu vollbringen. Die Menschen fragen sich, ob der Herr wohl kommen würde oder nicht. Natürlich würde Er als derjenige, der das Gesetz in allem erfüllte, dieser Anordnung Gottes aus 5. Mose 16 folgen – aber auf eine Weise, die weit über diese Spekulationen der Juden hinausging.

Der öffentliche Dienst im Leben des Herrn Jesus wird eingerahmt von Passahfesten. In Johannes 2,13 haben wir das erste Passah, als Er seinen öffentlichen Dienst begann. In Lukas 6,1 finden wir in indirekter Weise das zweite Passahfest angedeutet, und in Johannes 6,4 das dritte Passahfest. Hier haben wir nun das vierte Passahfest, und damit werden drei Jahre öffentlicher Dienst eingerahmt. In seiner geistlichen Bedeutung spricht das Passah von dem Tod des Herrn Jesus; stand nicht der Tod von Beginn seines Dienstes an vor seinem menschlichen Empfinden? Und je näher das Kreuz jetzt auf Ihn zukam, war das umso mehr der Fall.

„Die Hohenpriester und die Pharisäer hatten aber Befehl gegeben, dass, wenn jemand wisse, wo er sei, er es anzeigen solle, damit sie ihn griffen“ (V. 57).

Ein anderer Teil der Juden, die religiösen Führer, hatten praktisch schon einen Haftbefehl erlassen. Sie waren nach dem Ratschlag von Kajaphas schon fest entschlossen, den Herrn zu töten (s. V. 53). Alle Bemühungen waren ergriffen worden, um den Herrn Jesus zu greifen und dann zu töten. Ist es nicht geradezu erschütternd, dass es nicht einer aus dem Volk war, der den Herrn Jesus überlieferte, sondern „einer von euch“ (Joh 13,21) – Judas Iskariot! Es kam gar nicht zu einer Anzeige durch einen aus dem Volk, sondern „der mit mir das Brot isst, hat seine Ferse gegen mich erhoben“ (Joh 13,18; Ps 41,10). Wie muss das den Herrn Jesus innerlich bewegt haben: Er wurde im Geist erschüttert, als Er daran dachte. Aber auch darin mussten die Schriften erfüllt werden. Gott steht über allen Dingen und führt seinen Plan aus – was auch immer die Ratschläge der Menschen sein mögen.

In den letzten drei Versen dieses Kapitels können wir ein Spiegelbild der heutigen Christenheit ohne Christus sehen. Das Ende dieses Kapitels 11 zeigt, dass Christus draußen steht, man hat keinen Platz für Ihn, man feiert religiöse Riten und hält religiöse Formen aufrecht, und man spekuliert über die Person des Herrn Jesus. Aber in dieser traurigen Umgebung gibt es eine Gemeinschaft von Erlösten, deren Herz für Christus schlägt, die Ihm dienen, die seine Gemeinschaft genießen, und die sich Ihm in Anbetung nahen, um Ihm das Beste zu weihen – das zeigt uns dann der Beginn von Kapitel 12.

In der Öffentlichkeit war durch diesen Befehl der religiösen Führer ein gewisser Druck aufgebaut worden. Der Herr kommt jetzt nach Bethanien, an diesen Ort, wo Er wusste, dass Er dort willkommen war. Dort gab es solche, die Ihn nicht anzeigen würden, sondern Ihm im Gegenteil sogar ein Abendessen machen würden.