„Es war aber das Fest der Tempelweihe in Jerusalem; und es war Winter. Und Jesus ging im Tempel, in der Säulenhalle Salomos, umher“ (V. 22.23).

Um die Mitte des Laubhüttenfestes war der Herr Jesus nach Jerusalem in den Tempel gegangen (s. Joh 7,14). Dort hatten sich die Geschehnisse von Kapitel 8 ereignet, an dessen Ende Er aus dem Tempel hinausgegangen war und in Kapitel 9 den Blindgeborenen gefunden und geheilt hatte. Dieser war dann von den Juden selbst aus dem Tempel hinausgeworfen worden. Direkt daran hatte sich das Gleichnis über den jüdischen Schafhof angeschlossen und die weitergehenden Belehrungen über die eigenen Schafe, die der Herr als der Hirte dort herausführt und mit den „anderen Schafen“ zu wunderbaren christlichen Segnungen führt.

Aus dem einleitenden Satz dieser letzten Ereignisse in Kapitel 10 können wir also entnehmen, dass seit den so tiefgehenden Worten des Herrn über Ihn als den guten Hirten ungefähr drei Monate vergangen waren. Das Laubhüttenfest fand vom 15. -21. des siebten Monats statt, was nach unserer Zeitrechnung etwa Oktober ist, und dieser Vers 22 beginnt mit der Schilderung, dass es Winter war, als der Herr Jesus wieder in Jerusalem war und zur Zeit des Festes der Tempelweihe (Chanukka) in den Tempel ging. Dieses Fest war ein Lichterfest zur Erinnerung an die Einweihung des ersten Tempels unter Salomo. Bei dieser Einweihung mussten die Priester damals das Haus Gottes verlassen, weil die Herrlichkeit des HERRN das Haus erfüllte (s. 1. Kön 8,10.11; 2. Chr 7,1.2). Die Gegenwart des Gottes Israels konnte in einer überwältigenden Weise wahrgenommen werden.

Die Angabe hier ist eine einfache zeitliche Aussage, die nicht bedeutet, dass der Herr dieses Fest anerkannt und durch seine Anwesenheit bestätigt hätte. Das Fest der Tempelweihe gehörte nicht zu den von Gott verordneten sieben Festen aus 3. Mose 23, sondern es war von den Juden ca. 164 v. Chr. eingeführt worden, nachdem der Tempel Serubbabels durch den schrecklichen Antiochus Epiphanes geschändet worden war. Zur Erinnerung an die Reinigung, Einweihung und Wiederherstellung des äußerlichen zeremoniellen Gottesdienstes in diesem Tempel in der Zeit der Makkabäer wurde dieses Fest von den Juden gefeiert.

Die erste Tempelweihe unter Salomo fand während des Laubhüttenfestes statt (s. 1. Kön 8,2; 2. Chr 5,3 mit Fußnoten); die zweite Tempelweihe des Tempels Serubbabels zur Zeit von Haggai und Sacharja im Frühjahr (s. Esra 6,15.16). Und jetzt haben wir eine Tempelweihe, die im Winter stattfindet – es kann sich also nicht um ein Fest handeln, das eine alttestamentliche Grundlage hat; es ist eine rein jüdisch festgelegte äußerliche Zeremonie. So weisen diese Hinweise auf die äußeren Umstände auch auf die geistliche Haltung der Juden hin, die in diesen Tagen unter ihnen vorherrschte: Sie feierten Feste ohne biblische Grundlage, aber das, was sie auf biblischer Grundlage hätten tun sollen, taten sie in den meisten Fällen nicht. Wir können also die geistliche Bedeutung dieser beiden Verse auch ohne den geschichtlichen Zusammenhang aus der Zeit der Makkabäer erkennen. Das Volk und seine Führer waren gottlos und dem Herrn Jesus gegenüber erkaltet.

An vier Stellen weist Johannes in seinem Evangelium auf die äußeren Umstände hin, die in der jeweiligen Situation vorlagen. Hier lesen wir, dass es Winter war. In Johannes 13,30, als Judas aus dem Obersaal hinausgegangen war, wird hinzugefügt, dass es Nacht war. In Johannes 18,18 fügt Johannes bei der Schilderung der Szene am Kohlenfeuer im Hof des Hohenpriesters hinzu, dass es kalt war. Und am Morgen des Tages der Auferstehung des Herrn kommt Maria Magdalene früh zur Gruft, als es noch dunkel war (s. Joh 20,1). Winter – Nacht – kalt – dunkel: Spiegeln diese äußeren Umstände nicht etwas wider von der widrigen Atmosphäre, von den äußeren Rahmenbedingungen, die der Herr erfuhr und angesichts derer seine Herrlichkeit umso schöner erstrahlte? Trotz dieser ungünstigsten Umstände setzte der Herr seinen Weg fort, bis Er alles vollbracht hatte.

Der Tempel als ursprünglich geweihter Ort war unter den Juden zu einem Kaufhaus und einer Räuberhöhle gemacht worden (s. Joh 2,13–16; Mt 21,13). Wo ein erlöstes Volk seinem Gott etwas bringen sollte, da wurde diesem Gott die Ihm zustehende Ehre und Würdigung geraubt. In den nächsten Versen werden wir sehen, dass in diesem Haus sogar Steine aufgehoben wurden, um den Herrn Jesus daraus zu vertreiben (s. V. 31).

Dass als weitere Einzelheit auch noch das Wandeln des Herrn in der Säulenhalle Salomos erwähnt wird, lenkt die Gedanken wieder auf diesen großen König über Israel, der ein Vorausbild des kommenden Königs in seinem Friedensreich ist. Sein Name bedeutet friedlich (s. 2. Sam 12,24 mit Fußnote), was uns an den Ruhebringenden, den Friedenschaffenden aus dem Segen Jakobs über Juda denken lässt (s. 1. Mo 49,10). Das führt uns zu der Frage der Juden im nächsten Vers. In dieser Säulenhalle Salomos hielt auch Petrus mit Johannes eine großartige Predigt vor den Juden, in der er von den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge sprach (s. Apg 3,11 ff.). Und es war die gleiche Säulenhalle Salomos, in der sich die Gläubigen der Anfangstage einmütig versammelten (s. Apg 5,12).

„Da umringten ihn die Juden und sprachen zu ihm: Bis wann hältst du unsere Seele hin? Wenn du der Christus bist, so sage es uns frei heraus“ (V. 24).

Der Herr Jesus ist hier von Menschen umringt, die an dem äußeren Judentum festhalten. Sie fordern Ihn mit dieser Frage heraus, aber Er gibt ihnen kein neues Zeugnis über sich. Sie erwarteten immer noch einen Messias, der kommen und sein Friedensreich aufrichten würde. Danach sehnten sie sich. Aber durch die Verwerfung des Herrn durch die Führer des Volkes konnte Er zu dieser Zeit sein Reich nicht aufrichten.

In Johannes 9,22 hatten wir gesehen, dass jeder, der den Herrn Jesus als den Christus bekennen würde, aus der Synagoge ausgeschlossen werden sollte. Und jetzt fordern sie Ihn auf, frei heraus zu sagen, dass Er der Christus ist. Was für ein Widerspruch in sich. Meistens spricht der Herr Jesus von sich in diesem Evangelium als von dem Sohn des Menschen; nur einmal hatte Er der Frau am Jakobsbrunnen bestätigt, dass Er der Christus ist (s. Joh 4,25.26).

Er ist der Christus, aber Er hatte doch gerade eine Herrlichkeit seiner Person vorgestellt, die darüber weit erhaben ist. Doch die Juden hatten nur Interesse an ihren irdischen Erwartungen eines Messias. Außerdem offenbarten sie mit ihrer Frage, dass sie nicht zu seinen Schafen gehörten und den Herrn Jesus nicht kannten, denn Er hatte in Vers 14 von diesen Schafen gesagt: „Ich bin gekannt von den Meinen.“

„Jesus antwortete ihnen: Ich habe es euch gesagt, und ihr glaubt nicht. Die Werke, die ich in dem Namen meines Vaters tue, diese zeugen von mir; aber ihr glaubt nicht, denn ihr seid nicht von meinen Schafen, wie ich euch gesagt habe“ (V. 25.26).

In seiner Antwort spricht der Herr Jesus zuerst von seinen Worten und verweist damit auf Johannes 8, und dann von seinen Werken und verweist dabei auf Johannes 9; und beide Male muss Er ihnen sagen: „Aber ihr glaubt nicht.“ Sie hatten ein doppeltes Zeugnis von Ihm erhalten und nicht an Ihn geglaubt.

Und dann nutzt der Herr diese Frage der Juden, um noch einmal von seinen Schafen zu sprechen. Diese Juden hielten am äußeren Gottesdienst des Judentums fest und lehnten den Herrn Jesus ab. Sie wollten in dem jüdischen Schafhof bleiben. Aber der Herr hat Schafe, die an Ihn glauben! Er zeigt jetzt noch einmal, was das für Menschen sind. Und erneut halten wir fest: Das Neue, was Er hier bringt, steht nicht in Verbindung mit dem Alten. Die Zeit der Versammlung ist nicht eine Fortsetzung von Israel, von dem, was Gott im Alten Testament gegeben hatte.

„Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie gehen nicht verloren in Ewigkeit, und niemand wird sie aus meiner Hand rauben“ (V. 27.28).

Diese Verse sind ein weiterer Höhepunkt in diesem Kapitel. Der Herr Jesus spricht jetzt noch einmal von seinen Schafen. Hier steht nicht so sehr der Gedanke der Herde vor uns, sondern es geht um jedes einzelne Schaf und die Beziehung, die der Hirte zu jedem Einzelnen hat. Der Gedanke der Herde mit ihren kollektiven Segnungen ist auch sehr kostbar, aber die Segnungen des Einzelnen, das persönliche Teil, hat im Neuen Testament sehr oft den Vorrang vor dem gemeinschaftlichen Teil. Denken wir nur an Epheser 1, wo zuerst die geistlichen Segnungen jedes Einzelnen persönlich vorgestellt werden, bevor am Ende des Kapitels auch die gemeinschaftlichen Segnungen der Versammlung erwähnt werden.

Warum sind diese Schafe seine Schafe geworden? Eine erste Antwort darauf ist die Tatsache, dass Er sein Leben für die Schafe gegeben hat. Eine zweite Antwort ist, dass sie durch die Tür der Errettung gegangen sind (s. Joh 10,9). Wer durch diese Tür geht, wird ein Schaf des Herrn Jesus. Und eine dritte Antwort haben wir in Vers 29: Der Vater hat sie Ihm gegeben.

In diesen Versen werden sieben großartige Dinge erwähnt, die diese Schafe betreffen, die sie charakterisieren und die ihre Sicherheit ausmachen. Wir werden sehen, wie wichtig es ist, diese Dinge gut zu kennen und geistlicherweise den Fuß darauf zu setzen. Denn wir stehen oft in Gefahr, auf unsere Gefühle zu achten und deshalb schwankend zu werden; aber hier hören wir göttliche Sicherheiten. Wir wollen sie in einem kurzen Überblick aufzeigen, bevor wir sie ausführlicher in ihren Einzelheiten betrachten:

  • sie hören meine Stimme: Damit ist kein akustisches Hören gemeint, sondern ein glaubensvolles und gehorsames Hören
  • ich kenne sie: die persönliche Offenheit jedes Einzelnen vor Ihm, dem Hirten; Er kennt uns durch und durch
  • sie folgen mir: nicht in erster Linie eine Aufforderung, sondern eine Tatsache; für Schafe ist es charakteristisch, dass sie ihrem Hirten folgen; Er geht voraus und ihre Augen sind auf Ihn gerichtet
  • ich gebe ihnen ewiges Leben: Dieses Leben in Überfluss ist eine typisch christliche Segnung; wir bekommen es von Ihm als dem Auferstandenen
  • sie gehen nicht verloren in Ewigkeit: Ewiges Leben ist unverlierbar, es gibt keinen Abfall echter Kinder Gottes
  • niemand wird sie aus meiner Hand rauben: Keine Macht, kein Feind von außen kann die Schafe rauben, und auch niemand kann sich selbst aus der Hand dieses Hirten entfernen
  • niemand kann sie aus der Hand meines Vaters rauben: Der Vater ist stärker als jede denkbare Macht

Wir haben in diesen Versen keine Ermahnungen, sondern charakteristische Kennzeichen der Schafe. Sie sind auch nicht an Bedingungen gebunden, sondern sie sind jede für sich wahr. Wer hört, ist ein Schaf des guten Hirten, und wer nicht hört, gehört nicht zu seinen Schafen. Wer also grundsätzlich in seinem Leben die Kennzeichen von Vers 27 vermissen lässt, dem dürfen wir auch nicht die Sicherheiten von Vers 28 zusprechen. An keiner Stelle sagt Gott einem Menschen, dass er sich zwar auf einem falschen Weg befindet, dass aber am Ende doch alles gut wird.

Diese Feststellungen geben einem echten Schaf also beeindruckende Sicherheiten, die durch eigene Schwachheiten und Versagen oder durch Angriffe von außen nicht gefährdet werden können. Aber wenn diese Kennzeichen auch nicht als Ermahnung ausgesprochen werden, müssen wir doch sagen, dass es in höchstem Maß ermahnend ist, zu hören, dass die Schafe die Stimme des Hirten hören.

Die Juden hatten die Stimme des Herrn Jesus akustisch durchaus gehört, aber sie hatten nicht geglaubt. Doch seine Schafe hören eben nicht nur akustisch, sondern nehmen seine Worte im Glauben an. Sicher müssen wir dabei nicht nur an das erstmalige Hören der Stimme des Hirten denken, durch die wir seine Schafe geworden sind, sondern es ist ein lebenslanger, permanenter Wesenszug der Schafe, dass sie die Stimme des Hirten hören. Zu Pilatus hatte der Herr einmal gesagt, dass jeder, der aus der Wahrheit ist, seine Stimme hört (s. Joh 18,37).

Und von diesen Schafen kennt Er jedes Einzelne ganz persönlich, durch und durch. Ist das nicht das Beste, was uns geschehen kann, dass Er uns so vollkommen kennt? Niemand kennt uns so wie unser Herr! Vielleicht sind wir unter unseren Glaubensgeschwistern unverstanden, vielleicht sogar in der eigenen Familie. Aber der Herr kennt alles von mir, meine Motive, meine Empfindungen, meine Sorgen und Nöte. Das hatte auch Petrus mit tiefer Überzeugung gesagt, als er vom Herrn drei Mal nach seiner Liebe zu Ihm gefragt wurde. In seiner dritten Antwort sagte er: „Herr, du weißt alles; du erkennst, dass ich dich lieb habe“ (Joh 21,17). Nach außen war von seiner Liebe zu dem Herrn nicht viel zu sehen gewesen, aber er wusste: Sein Herr kannte ihn!

Und dann lernen wir, dass sich dieses Wissen um die vollkommene Kenntnis des Hirten aktiv durch die Nachfolge äußert. Diesem Hirten, der alles über mich weiß und meine Bedürfnisse kennt, dem möchte ich mich anvertrauen. Mit der Nachfolge ist Sicherheit für die Schafe verbunden; indem sie Ihm folgen, haben die Schafe alles, was sie brauchen. Das Ohr hört die Stimme des Hirten, das Herz genießt die Beziehung zu dem Hirten, und dann folgen die Füße auch gern dem Hirten nach.

Dieser Hirte ist ein gebender Hirte. Diebe und Räuber nehmen weg und rauben, aber der Hirte gibt! Ob damals auf der Erde oder jetzt im Himmel: Er ist der große Geber, der den Seinen nur gute Gaben gibt. Die ganze Fülle der persönlichen christlichen Segnungen kann in diesen beiden Worten zusammengefasst werden: ewiges Leben! Wie unendlich weit geht das über den verheißenen irdischen Segen für das Volk Israel hinaus, auch über die Segnungen des kommenden 1000-jährigen Reiches. Ein wunderbares Teil, welches wir aus Gnaden besitzen dürfen. Er selbst ist dieses ewige Leben, das bei dem Vater war und uns offenbart worden ist (s. 1. Joh 1,2); wer den Sohn hat, hat das Leben (s. 1. Joh 5,11.12). Die Offenbarung des ewigen Lebens in dem Herrn Jesus ist nicht nur eine Sichtbarmachung, sondern es wird den Glaubenden – den Schafen – geschenkt. Als der verherrlichte Mensch hat Er die Gewalt über alles Fleisch, und in dieser Zeit der christlichen Haushaltung zeigt sich diese Gewalt darin, dass Er denen, die der Vater Ihm gegeben hat, ewiges Leben schenkt (s. Joh 17,2). Man müsste Christus in der Herrlichkeit angreifen, wenn einem Glaubenden dieses ewige Leben wieder genommen werden sollte. Dort ist unser Leben unantastbar mit dem Christus verborgen in Gott (s. Kol 3,3).

Wir freuen uns über diesen wunderbaren Segen des ewigen Lebens und denken dabei oft zuerst an uns, aber dieses unfassbar große Geschenk an uns ist gleichzeitig auch zur Verherrlichung des Vaters. Denn der Herr bittet in Johannes 17,1.2 den Vater, Ihn als Mensch in den Himmel aufzunehmen, damit Er von dort den Glaubenden dieses ewige Leben geben kann und dadurch den Vater verherrlicht. Dieses ewige Leben in uns, den Glaubenden, ist letztlich zur Verherrlichung des Vaters – wunderbarer Gedanke!

Ist es vorstellbar, dass Gott uns in dem Herrn Jesus das ewige Leben schenkt, und es uns dann wieder wegnehmen würde, wenn wir ungehorsam sind? Und würden wir danach Buße tun, bekämen wir es dann erneut geschenkt? Die Gabe des ewigen Lebens kann doch nicht ein ständiges Hin und Her sein, als hätten wir es einmal und haben es dann ein anderes Mal wieder nicht. So dürfen wir von unserem Gott nicht denken! Wir müssen unterscheiden lernen zwischen unserer eigenen Verantwortung und dem Handeln Gottes. In den Schriften von Johannes wird uns in erster Linie das Handeln Gottes vorgestellt. Er ist die Quelle von allem und bei Ihm ist alles ewig beständig. Die Gabe des ewigen Lebens leiht Er uns nicht nur solange, wie wir uns nach seinen Gedanken verhalten. Genauso verhält es sich auch mit dem Von-Neuem-Geborenwerden: Es kann doch nicht sein, dass wir als Neugeborene auf einmal wieder tot sind, weil wir uns nicht nach den Gedanken Gottes verhalten haben, und dann erneut von Neuem geboren werden müssen. Auch wenn an einem Glaubenden Zucht geübt werden muss, wird damit nicht ein Glied von dem einen Leib abgeschnitten. Ein Glied am Leib wird man durch den Heiligen Geist, Er hat uns alle zu einem Leib zusammengefügt. Davon können wir nie wieder getrennt werden. Es ist von Anfang an das Bestreben des Teufels gewesen, an solchen Tatsachen Zweifel zu wecken (s. 1. Mo 3,1), und er hat bis heute Gelingen dabei, Glaubenden die Sicherheit über die Unverlierbarkeit des ewigen Heils zu rauben.

Dieser Hirte ist auch die absolute Sicherheit für seine Schafe. Es ist völlig ausgeschlossen, dass sie verloren gehen könnten. Der Ausdruck 'nicht verloren' ist betont und bedeutet so viel wie 'niemals nicht'; es ist die stärkste Form der Verneinung zukünftigen Geschehens. Die Schafe sind in Ewigkeit in Sicherheit durch den, der ihnen das ewige Leben gegeben hat. Und wenn jemand empfindet, dass er dem Hirten nicht so nachfolgt, wie er eigentlich sollte, und deshalb in Unsicherheit über sein ewiges Heil gerät, dann hat er hier eine absolut sichere Grundlage, auf die er bauen kann. Ein wahres Kind Gottes kann und wird niemals verlorengehen, es bleibt immer ein Kind Gottes, es ist auf immerdar vollkommen gemacht worden (s. Heb 10,14).

Der Hirte ist nicht nur ihre Sicherheit, Er ist auch ihr Schutz. Niemand wird die Schafe aus der Hand des Hirten rauben. Diese Hand spricht von seiner Kraft und seiner Macht; niemand ist in der Lage, die Schafe aus seiner Hand zu rauben. Sogar wir selbst sind nicht in der Lage, uns durch eigene Initiative den mächtigen Händen des Sohnes oder des Vaters zu entreißen. Auch Sünde in unserem Leben wird niemals dazu führen, dass wir aus der Gnade fallen könnten und so aus der Hand des Herrn geraubt werden.

Jakob war ein guter Hirte gewesen, der sich enorme Mühe um die Herde gegeben hatte, aber er konnte nicht verhindern, dass auch einmal Schafe geraubt wurden (s. 1. Mo 31,39.40). So ist das bei uns Menschen. Aber der Herr Jesus ist der vollkommene Hirte, der die Schafe in seiner Hand hat, und nicht ein einziges Schaf wird aus dieser Hand geraubt werden. Hier steht der Herr Jesus in seiner göttlichen Macht vor uns.

„Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus der Hand meines Vaters rauben. Ich und der Vater sind eins“ (V. 29.30).

Jetzt stellt sich der Herr Jesus – obwohl Er der ewige Sohn ist – als Mensch unter den Vater. Der Vater ist größer als alles. In dem gesamten sichtbaren und unsichtbaren Universum gibt es nichts, was irgendwie an den Vater heranreichen könnte. Gott, der Vater hat vollkommene Macht. Und in Bezug auf die mächtige Hand des Vaters sagt der Herr Jesus, dass es nicht einmal möglich oder denkbar ist, dass daraus geraubt werden könnte. In Bezug auf seine eigene Hand hatte Er von der Tatsache gesprochen, hier spricht Er von der Möglichkeit. Welch eine wunderbare Sicherheit für die Schafe! Zwei Personen der Gottheit geben diese Zusicherung, was für ein Wort für zweifelnde Glaubende.

Es fällt ja auf, dass das 'sie' in Bezug auf die Schafe hier klein gedruckt ist, dass es also im griechischen Text gar nicht steht, sondern zum besseren Verständnis eingefügt wurde. Der Herr denkt hier sicher besonders an die Schafe, aber dadurch, dass Er dieses Wort 'sie' weglässt, sollten wir die Aussage nicht nur auf seine Beziehung zu den Schafen beschränken, denn es umfasst doch weit mehr als nur die Schafe. Alles, was der Vater dem Sohn gegeben hat (s. Joh 3,35; 13,3) beschreibt wohl den gesamten Ratschluss Gottes. Nichts, seien es die Schafe oder irgendetwas anderes, was in dem Herzen Gottes ist, kann aus seiner Hand geraubt werden.

Wir sind seine Schafe geworden, weil es in Gottes Ratschluss so vorgesehen war, weil wir auserwählt sind vor Grundlegung der Welt (s. Eph 1,4). Wir sind eine Gabe des Vaters an den Sohn (s. Joh 17,2.6.9)! Es ist für den Sohn ein besonderer zusätzlicher Anlass, sich um die Sicherheit der Schafe zu kümmern, weil der Vater sie Ihm anvertraut hat.

Obwohl der Vater die Glaubenden dem Sohn gegeben hat, sind sie immer noch in der Hand des Vaters, Er hat sie nicht abgegeben. Wir nehmen diese göttlich großen Wahrheiten mit Staunen und Anbetung zur Kenntnis, obwohl wir sie mit unserem Verstand kaum zu erfassen vermögen. Der Vater und der Sohn besitzen beide dasselbe (s. Joh 17,9.10), und es liegt auch das ungeteilte Augenmerk von Vater und Sohn auf diesen Schafen.

Der Herr Jesus stellt sich in seiner Demut als Mensch immer unter den Vater, deshalb sagt Er hier, dass der Vater größer ist als alles. Auch in Johannes 17,4.5, wo Er in diesem Gebet schon hinter dem vollbrachten Werk von Golgatha steht, sagt Er nicht, dass Er jetzt als der ewige Sohn diesen Platz in der Herrlichkeit bei dem Vater einnehmen würde – obwohl Er alle Macht dazu gehabt hätte – sondern Er bittet den Vater darum, Ihm diese Herrlichkeit zu geben. Er nahm auf Erden immer den niedrigeren Platz ein. So auch hier: Der Vater ist größer als alles.

Und dann wieder sehen wir die Seite des ewigen Sohnes: „Ich und der Vater sind eins.“ Es gibt keinen Unterschied in der Höhe der Stellung zwischen dem Vater und dem Sohn. Der Mensch gewordene Sohn ist immer Sohn Gottes geblieben.

Dieser Satz bedeutet übrigens nicht, dass es in der Gottheit nicht mehrere Personen gäbe. Es gibt diese böse Lehre, dass es nur einen Gott gibt (was für sich genommen absolut richtig ist) und dass es deshalb innerhalb der Gottheit keine unterscheidbaren Personen gäbe. Schon die ersten beiden Verse des Johannes-Evangeliums machen das Verkehrte dieser Lehre offenbar. Wir kennen aus Gottes Wort die drei Personen der Gottheit: Gott, der Vater; Gott, der Sohn; Gott, der Heilige Geist. Alle drei sind als Personen unterscheidbar, aber sie sind in vollkommener Harmonie.

Was bedeutet es jetzt, dass der Sohn und der Vater eins sind? Wir können das nicht beschränken auf eine Einheit im Denken und Handeln und in den Zielen des Vaters und des Sohnes. Das war natürlich auch vorhanden, aber dieser Satz hier geht noch viel weiter, damit ist auch die Wesenseinheit zwischen Vater und Sohn eingeschlossen. Der Sohn ist nicht weniger Gott, als es der Vater ist. Das macht auch schon die Wortstellung in diesem Satz deutlich: Der Herr spricht zuerst von sich und dann von dem Vater. Der Sohn und der Vater sind eins in ihren Gedanken der Liebe zu den Erlösten, und der Sohn und der Vater sind eins in der bewahrenden Macht im Blick auf die Erlösten. Diese Tatsache der Einheit göttlicher Personen wird verbunden mit uns, den Schafen des guten Hirten. Bewegender Gedanke, dass diese Einheit sich in ihrer Liebe und in ihrer bewahrenden Macht zu uns zeigt!

Wir dürfen bei diesem Satz dem Gedanken nicht Raum geben, dass es ja egal sei, wen wir im Gebet anreden, wenn der Sohn und der Vater eins sind. Wir müssen wachsam sein, wenn wir im Gebet die Personen der Gottheit wechseln und einmal den Vater ansprechen und dann wieder den Sohn. Wir sind nicht Kinder des Herrn Jesus, und der Vater ist auch nicht für uns am Kreuz gewesen. Nur der Sohn hat sich einen Leib bereiten lassen und ist Mensch geworden, nicht der Vater. Es wäre nicht geziemend, wenn wir im Gebet so unpräzise reden, weil es ja egal sei, mit wem man spricht.

„Da hoben die Juden wieder Steine auf, um ihn zu steinigen“ (V. 31).

An diesem Lichterfest wird die ganze Finsternis der ungläubigen Herzen offenbar. Der Herr als das wahrhaftige Licht war noch einmal in dem Haus seines Vaters erschienen, aber Er begegnete der absoluten Finsternis. Die Juden hatten die Worte des Herrn zwar richtig interpretiert, dass Er sich ihnen als Sohn Gottes vorgestellt hatte (s. V. 33), aber ihre Reaktion war unverändert voller Ablehnung und Hass. Wieder wollten sie Ihn steinigen, wie schon am Ende von Kapitel 8 (s. Joh 8,59). Aber auch hier ist nicht ein einziger Stein wirklich geworfen worden, weil sie nicht werfen konnten! Niemand nimmt das Leben von Ihm, so hatte der Herr noch in Vers 18 gesagt. Sie konnten Ihn nicht steinigen, weil seine Stunde noch nicht gekommen war.

Der Ausgangspunkt war ja gewesen, dass die Juden in Vers 24 zu dem Herrn gesagt hatten, Er solle es ihnen frei heraus sagen, wenn Er der Christus sei. Daraufhin hatte der Herr ihnen deutlich gemacht, dass Er nicht nur der Christus ist, sondern dass Er weit mehr ist, nämlich der ewige Sohn Gottes.

„Jesus antwortete ihnen: Viele gute Werke habe ich euch von meinem Vater gezeigt; für welches Werk unter diesen steinigt ihr mich?“ (V. 32).

Das ist eine erstaunliche Reaktion des Herrn auf diese Ablehnung der Juden. Völlig ruhig steht Er vor ihnen und antwortet ihnen, indem Er zuerst erklärt, dass Er viele gute Werke von seinem Vater unter ihnen gezeigt hatte. Die Werke des Herrn Jesus waren Werke mit einer Botschaft, die auf etwas hinwiesen. Anhand dieser Werke hätten sie erkennen müssen, dass Er der Sohn Gottes ist, denn solche Werke kann kein Mensch von sich aus wirken.

Und dann fragt Er sie, für welches dieser Werke sie Ihn steinigen. Er fragt nicht, für welches Werk sie Ihn steinigen wollen, sondern für welches Werk sie Ihn steinigen. In ihren Herzen hatten sie Ihn gesteinigt, obwohl nicht ein einziger Stein geflogen war. Alle Werke des Herrn Jesus waren gute Werke gewesen; es gab in seinem ganzen Leben nicht ein einziges Werk, für das Er hätte gesteinigt werden dürfen. Und das mussten die Juden dann auch zugeben, sie konnten in seinem Leben nichts finden und mussten sich deshalb auf das beziehen, was in ihren Augen Lästerung war. Es macht uns den Herrn Jesus groß, dass Er von niemandem einer sündigen Tat oder eines verkehrten Wortes überführt werden konnte.

Die Werke des Herrn waren in sich gut, weil sie vom Vater waren. Und es handelte sich nicht um Einzelfälle, sondern es waren viele gute Werke. Indem der Herr diese guten Werke tat, zeigte Er, wie und wer der Vater ist. Weil also in dem Herrn Jesus der Vater sichtbar wurde, richteten sich die bösen Reaktionen der Juden gegen Ihn. Hier stand der Sohn des Vaters (s. 2. Joh 3); und Ihm gegenüber standen Menschen, die auch einen Vater hatten und die die Werke ihres Vaters tun wollten (s. Joh 8,44). Aber gegen den Sohn des Vaters kann der Menschenmörder von Anfang an nichts ausrichten.

„Die Juden antworteten ihm: Wegen eines guten Werkes steinigen wir dich nicht, sondern wegen Lästerung und weil du, der du ein Mensch bist, dich selbst zu Gott machst“ (V. 33).

In diesen Worten kommt die ganze Verachtung der Juden über den Herrn Jesus zum Ausdruck: „Du, der du ein Mensch bist, machst dich selbst zu Gott.“ Das war pure Lästerung. Denn genau das Gegenteil ist wahr! Nicht ein Mensch macht sich zu Gott, sondern der, der vor ihnen stand, war Gott und hatte sich zu einem Menschen gemacht. In Philipper 2,6–8 lesen wir von Ihm: „Der, da er in Gestalt Gottes war, es nicht für einen Raub achtete, Gott gleich zu sein, sondern sich selbst zu nichts machte und Knechtsgestalt annahm, indem er in Gleichheit der Menschen geworden ist, und, in seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden, sich selbst erniedrigte, indem er gehorsam wurde bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz.“

Wie tragisch, dass dieses Volk der Juden in späteren Tagen einen Menschen, der sich selbst zu Gott macht, annehmen wird! Der Herr hatte ihnen schon einmal gesagt: „Wenn ein anderer in seinem eigenen Namen kommt, den werdet ihr aufnehmen“ (Joh 5,43). Wenn der Antichrist kommen und sich über alles erhöhen und in den Tempel Gottes setzen wird, dann wird er von diesem Volk anerkannt werden (s. 2. Thes 2,3.4).

Vielleicht dachten die Juden in ihrem Vorwurf an 3. Mose 24,16: „Wer den Namen des HERRN lästert, soll gewiss getötet werden, steinigen soll ihn die ganze Gemeinde.“ Sicher waren sie in ihren verfinsterten Herzen davon überzeugt, dass sie sich an das Gesetz hielten, wenn sie den Herrn steinigen würden.

Eigentlich ist es ja ein zweigeteilter Vorwurf, den die Juden dem Herrn machen: Zuerst bezichtigen sie Ihn der Lästerung, und dann werfen sie Ihm vor, Er würde sich selbst zu Gott machen, obwohl Er doch ein Mensch sei. Bei dem ersten Teil der Anklage werfen sie Ihm vor, Er würde Gott herabwürdigen oder –ziehen. Mit der zweiten Anklage beschuldigen sie Ihn dessen, dass Er sich selbst unberechtigterweise zu Gott erhöht. Der Herr hatte gesagt: „Ich und der Vater sind eins“, darauf bezogen sie sich jetzt. Doch damit hatte der Herr deutlich gemacht, dass Er und der Vater im Wesen gleich sind; weder erniedrigt Er Gott also mit diesen Worten, noch erhöht Er sich unberechtigterweise. Beide Vorwürfe liefen ins Leere.

„Jesus antwortete ihnen: Steht nicht in eurem Gesetz geschrieben: ‚Ich habe gesagt: Ihr seid Götter‘? Wenn er diejenigen Götter nannte, an die das Wort Gottes erging (und die Schrift kann nicht aufgelöst werden), sagt ihr von dem, den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat: Du lästerst (weil ich sagte: Ich bin Gottes Sohn)?“ (V. 34–36).

Die Juden hatten sich auf das Gesetz bezogen, und der Herr nimmt jetzt ebenfalls eine Stelle aus dem Gesetz (s. Ps 82,6). Manchmal wird das Alte Testament unterteilt in das Gesetz, die Propheten und die Schriften; an manchen Stellen des Wortes Gottes finden wir aber auch einen Begriff, der das ganze Alte Testament zusammenfasst. So ist es auch hier, wo der Herr Jesus eine Stelle aus den Psalmen zitiert und sie als „euer Gesetz“ bezeichnet. Es ist übrigens eine grundsätzliche Haltung des Herrn Jesus, dass Er auf Feindschaft gegen sich mit dem Wort Gottes reagiert. Ist das nicht auch beispielgebend für uns? Feindlichen Angriffen oder bösen Worten, auch den Versuchungen des Teufels begegnete der Herr Jesus stets mit dem Wort Gottes. Das Wort Gottes widerlegt falsche Gedanken und verkehrte Aussagen.

Das Wort Gottes kann auch nicht aufgelöst werden, es hat eine absolut unveränderliche, bleibende Autorität. Daran müssen wir auch in unseren Tagen festhalten. „In Ewigkeit, HERR, steht dein Wort fest in den Himmeln“ (Ps 119,89). Es ist uns nicht erlaubt, das Wort Gottes abzuschwächen oder in irgendeiner Form eine Umdeutung vorzunehmen; es muss für uns seine Bedeutung behalten, in der Gott es ursprünglich gegeben hat.

Der Herr benutzt hier ein ‚Erst-recht-Argument‘ und schließt dabei von einem schwächeren auf ein stärkeres Argument. Wenn in dem Gesetz der Juden schon geschrieben steht, dass Menschen, die Autorität im Volk Israel haben, als Götter bezeichnet werden, dann hat doch der, der vom Vater geheiligt und in die Welt gesandt worden ist, erst recht das Recht, sich als Sohn Gottes zu bezeichnen. Er hätte viel mehr anführen können, was Ihm das Recht gibt, sich als Sohn Gottes zu bezeichnen, denn Er ist der Sohn Gottes. Aber Er begibt sich hier auf das niedrigst mögliche Niveau. „Das ist nicht mehr ein Argument, um sie zu überzeugen, sondern um sie zum Schweigen zu bringen“ (J. N. Darby).

Mit diesem Zitat beweist der Herr hier also nicht seine Gottheit, sondern widerlegt seine Angreifer. Er entkräftet ihren Vorwurf, denn wenn damals schon Menschen, die sich als Richter in einer besonderen Position befanden (vgl. 2. Mo 21,6 Fußnote), als Götter bezeichnet wurden, dann gab es doch für ihre Anklage Ihm gegenüber gar keine Berechtigung. Die Richter in Psalm 82 hatten gar nicht in Übereinstimmung mit Gott gehandelt, das macht der Verlauf des Psalms klar, und doch sagt Gott in Vers 6: „Ich habe gesagt: Ihr seid Götter“, und kündigt dann Gericht über sie an. Wenn Gott selbst diese untreuen Richter Götter nennt, warum klagen die Juden dann den Herrn an? Er nimmt ihnen damit die ganze Berechtigung dieser Anklage weg.

Der Herr führt hier als vergleichbaren Fall solche an, die nicht Gott waren, die aber für ihr Handeln von Gott Botschaften erhielten und dadurch Repräsentanten Gottes waren. In diesem Sinn eines Stellvertreters wurden sie Götter genannt. Im Hebräischen steht hier das Wort Elohim, das normalerweise mit Gott übersetzt wird. Aber es gibt einzelne Stellen im Alten Testament, wo dieses Wort auch die andere Bedeutung Richter hat. Und in Psalm 8,6 wird Elohim mit Engel übersetzt.

Als Mose vor den Pharao treten sollte und furchtsame Einwände dagegen vorbrachte, stellte Gott ihm Aaron an die Seite und sagte über ihn: „Er wird dir zum Mund sein, und du wirst ihm zum Gott sein“ (s. 2. Mo 4,15.16). Mose hatte von Gott die Autorität als Repräsentant Gottes im Hinblick auf Aaron verliehen bekommen, der dann handeln sollte. Mose bekam die direkten Anweisungen für die Worte, die Aaron dann weitergeben sollte. Seien es Engel oder Richter, es geht um solche, die Gott in einer bestimmten Aufgabe repräsentieren.

In diesem Zusammenhang sagt der Herr in Vers 36 wunderbare Dinge über sich selbst: Er ist der, den der Vater geheiligt hat, den der Vater für einen besonderen Zweck reserviert oder auf die Seite gestellt hat. Und diese besondere Aufgabe war das, was Er hier auf der Erde in seinen Worten und in seinen Werken tat – dazu war Er in die Welt gesandt worden. In Johannes 17,19 spricht der Herr davon, dass Er sich heiligen würde; damit meint Er, dass Er als Mensch in den Himmel zum Vater zurückkehren würde, um von dort, außerhalb der Welt, der Anziehungspunkt für die Glaubenden zu sein und für sie tätig zu sein.

Das Zweite, was der Herr von sich selbst sagt, ist, dass der Vater Ihn in die Welt gesandt hat. Das bedeutet, dass Er schon vorher existiert hat, dass Er der ewige Sohn Gottes ist. Damit unterscheidet Er sich unendlich weit von denen, die im Alten Testament Götter genannt wurden. Die Juden mussten das sehr wohl verstanden haben, dass der Herr in allem, was Er gesagt hatte, deutlich gemacht hatte, dass Er Gottes Sohn ist. Als Er den Blindgeborenen aus der Synagoge hinausgeworfen fand, hatte Er sich ihm deutlich als der Sohn Gottes vorgestellt (s. Joh 9,35–37); auch in Johannes 5,25 bezeichnet der Herr sich selbst vor den Juden als Sohn Gottes, und in Johannes 11,4 sagt Er das Gleiche vor seinen Jüngern.

„Wenn ich nicht die Werke meines Vaters tue, so glaubt mir nicht; wenn ich sie aber tue, so glaubt den Werken – wenn ihr auch mir nicht glaubt –, damit ihr erkennt und glaubt, dass der Vater in mir ist und ich in ihm“ (V. 37.38).

Wenn der Herr jetzt auf seine Werke zu sprechen kommt, kann nur eine mögliche Schlussfolgerung aus seinen Worten gezogen werden: Er ist selbst Gott. Das verstanden die Juden intellektuell wohl, aber im Glauben annehmen wollten sie es nicht. Sie sahen die Werke des Herrn Jesus, aber sie glaubten nicht, dass sie von jemandem durchgeführt wurden, der wirklich Gott ist.

In Johannes 8,39 hatte der Herr den Juden etwas erklärt, was Er hier auf sich überträgt: Der Beweis, ein wirkliches Kind Abrahams zu sein, besteht darin, auch die Werke Abrahams zu tun. Diese Argumentation überträgt der Herr jetzt auf sich selbst: Die Werke, die Er tat, bewiesen, dass Er wirklich der Sohn Gottes war, dass der Vater in Ihm war und Er in dem Vater war.

„Wenn ihr auch mir nicht glaubt“ – wir empfinden bei diesen Worten etwas von dem Schmerz des Herrn Jesus, wie sehr Er unter dem Unglauben und der Anfeindung der Juden gelitten hat.

Der Schlusspunkt der Antwort des Herrn ist, „dass der Vater in mir ist und ich in ihm“. Dabei zeigt Er zuerst, dass Er der ist, den der Vater geheiligt hat, für diese Aufgabe auf die Seite gestellt hat. Und dann geht Er einen Schritt weiter und sagt, dass Er auch der ist, den der Vater gesandt hat. So kommt Er schrittweise noch einmal auf den Punkt von Vers 30 zurück und zeigt, dass Er wesensgleich ist mit dem Vater – genau das haben seine Werke gezeigt. Seine Feinde hatten ja versucht, seine Werke von seiner Person zu trennen (s. V. 33), aber der Herr betont in seiner Antwort diese herrliche Tatsache, dass seine Werke, sein ganzes Leben auf dieser Erde, diese Wahrheit offenbar gemacht haben, „dass der Vater in mir ist und ich in ihm“. Die Tiefe dieser Worte können wir nicht ermessen: die eine Person der Gottheit in der anderen Person der Gottheit. Der Sohn in dem Vater ist Lebens- und Wesenseinheit; der Vater in dem Sohn ist Offenbarung.
An verschiedenen Stellen des Neuen Testaments finden wir diese erhabene Wahrheit bestätigt. Denken wir z. B. an Kolosser 1,19: „Denn es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle [der Gottheit], in ihm zu wohnen“, oder an Kolosser 2,9: „Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig.“ In Hebräer 1,3 lesen wir, dass Er „die Ausstrahlung seiner Herrlichkeit und der Abdruck seines Wesens“ ist. Anbetend stehen wir vor Ihm und bringen Ihm, der damals als Mensch auf der Erde die vollkommene Offenbarung des Vaters war – und es für uns Glaubende der Gnadenzeit auch immer sein wird –, die Huldigung unserer Herzen.

„Da suchten sie wieder, ihn zu greifen, und er entging ihrer Hand“ (V. 39).

Wieder einmal ist das die einzige Antwort der Juden: Sie wollen den Herrn töten. Offenbar ist Er aber in aller Ruhe aus ihrer Mitte weggegangen. Seine Stunde war jetzt noch nicht gekommen. Erst in Johannes 18,12 können sie Ihn ergreifen, weil dann ihre Stunde und die Gewalt der Finsternis gekommen war (s. Lk 22,53). Und dann ist ihr Vorwurf immer noch der Gleiche wie hier in diesem Kapitel: Nach ihrem Gesetz müsse Er sterben, weil Er sich selbst zu Gottes Sohn gemacht habe (s. Joh 19,7).

„Und er ging wieder weg auf die andere Seite des Jordan an den Ort, wo Johannes zuerst taufte, und er blieb dort“ (V. 40).

Hier ist der Herr nun an einem völlig anderen Ort auf der anderen Seite des Jordan. Interessanterweise trägt dieser Ort den gleichen Namen Bethanien (vgl. Joh 1,28) wie der Ort, an dem sich die Geschehnisse von Kapitel 11 ereignen. Aber es handelt sich um ein ganz anderes Bethanien. Es ist der Ort, wo Johannes getauft hatte; und war es nicht gerade bei der Taufe des Herrn, wo sich der Himmel geöffnet hatte und deutlich wurde, dass der Vater Ihn geheiligt und in die Welt gesandt hatte (vgl. Joh 10,36)?

Mit diesem Vers wird das Ende des öffentlichen Dienstes des Herrn im Johannesevangelium markiert. Der Herr zieht sich nach dieser Unterredung zurück. Er verlässt Jerusalem, die Stadt des großen Königs (s. Ps 48,3), weil man den wahren König abgelehnt hat; Er verlässt den Tempel, in dem das Licht noch einmal geschienen hat.

„Und viele kamen zu ihm und sagten: Johannes tat zwar kein Zeichen; alles aber, was Johannes von diesem gesagt hat, war wahr. Und viele glaubten dort an ihn“ (V. 41.42).

Johannes der Täufer war der letzte der Propheten des Alten Testaments, er steht praktisch am Ende der Haushaltung des alten Bundes. Und wenn hier von ihm gesagt wird, dass er kein Zeichen tat, sondern von der Person des Herrn Jesus geredet hatte, ist das beispielgebend für uns, die wir auch am Ende einer Haushaltung stehen, nämlich am Ende der Zeit der Gnade. Anstatt aufsehenerregende Dinge wirken zu wollen, müssen wir in Treue von Ihm, dem Sohn Gottes, zeugen.

Das Ende einer Zeitepoche ist nicht durch Zeichen und Wunder geprägt, sondern durch Worte. Als der Herr auf diese Erde kam, öffnete Er das Tor zu einer neuen Haushaltung, und diese Haushaltung war zu Anfang geprägt durch Zeichen und Wunder durch den Herrn und durch die Apostel.

Die Menschen, von denen hier gesagt wird, dass sie kamen, kamen zwar an den Ort, wo Johannes der Täufer getauft hatte, aber sie kamen zu Ihm, dem Herrn Jesus. Es war nicht der Ort, der sie anzog, sondern die Person des Herrn selbst. Später werden die Juden aufgefordert, aus dem jüdischen Lager hinauszugehen, und zwar zu Ihm hinauszugehen (s. Heb 13,13). Das Weggehen oder Kommen an sich ist nicht das Wichtigste, sondern es kommt darauf an, zu wem man geht oder kommt.

Was hatte Johannes der Täufer von dem Herrn gesagt? Er hatte gesehen und hatte bezeugt, dass dieser der Sohn Gottes ist (s. Joh 1,34). Er lebte zur Zeit von Johannes 10 schon lange nicht mehr, er war ermordet worden. Der Botschafter selbst lebte nicht mehr, aber die Botschaft, die er gegeben hatte, konnte man nicht töten – sie lebte weiter. Der Zeuge mochte getötet worden sein, aber das Zeugnis lebte weiter. Wenn ein Diener abtritt, ist sein Dienst zu Ende, aber was er über den Herrn gezeugt hat, das bleibt und wirkt weiter.

Hätte Johannes der Täufer es doch miterleben dürfen, dass jetzt viele von diesen Menschen, die nach Bethanien zu dem Herrn gekommen waren, an den glaubten, dessen Vorläufer er gewesen war! Aber es ist oft so im Leben der Diener Gottes, dass sie von den Früchten ihres Dienstes wenig zu sehen bekommen. Der Himmel wird einmal zeigen, welche unserer Worte über Christus Auswirkungen gehabt haben. Welcher Art unser Dienst auch sein mag – wenn Christus unser Thema ist, dann können wir die Ergebnisse getrost unserem Gott überlassen.