Gebete sind immer für Gott bestimmt, nie für Menschen. Das ist ein wichtiger Grundsatz, den wir manchmal vergessen. Es kommt manches Mal vor, dass wir in Gegenwart von anderen beten, und doch ein klein wenig an die Zuhörer denken. Das passiert dem Familienvater am Familientisch, der in sein Gebet vielleicht doch eine kleine Bemerkung einfließen lässt, die für seine Kinder bestimmt ist. Das passiert auch den Brüdern, die in der Gebetsstunde beten, wo auch manche Sache darin ist, die ein wenig für die Geschwister bestimmt ist, die zuhören. Das sollten wir sorgfältig vermeiden, davor sollten wir uns hüten!

Beim gemeinsamen Gebet in der Gebetsstunde müssen wir uns natürlich so ausdrücken, dass alle Geschwister genau verstehen, was wir wollen, damit sie „Amen“ dazu sagen können – natürlich müssen wir das. Wir müssen auch solche Gegenstände nehmen, von denen wir hinreichend überzeugt sind, dass sie den Geschwistern am Herzen liegen und dass es Anliegen der Versammlung sind. Persönliche Anliegen kann ich viele haben, aber die muss ich zu Hause vor den Herrn bringen. Aber doch dürfen wir niemals etwas sagen, was für die Ohren der Zuhörer bestimmt ist. Ein Gebet ist nur für Gott.

Darum sagt nämlich der Herr Jesus, dass wir, wenn wir persönlich beten, unsere Kammer abschließen sollen. Wir sollen die Versuchung vermeiden, irgendetwas in unserem Gebet zu sagen, was für andere Ohren bestimmt ist als seine. Ich glaube, dass das Abschließen des Zimmers nicht so sehr wegen der Störungen, die eintreten könnten, gesagt wird, sondern ganz besonders deswegen, dass wir mit Gott wirklich ganz allein sind.

So ist es auch in dem Gebet des Herrn Jesus zu seinem Vater in Johannes 17. Dieses Gebet ist nicht für Menschen bestimmt – und doch dürfen Menschen zuhören. Wir wollen das nicht aus dem Auge verlieren. Denken wir nicht, dieses Gebet wäre eine Art Zurschaustellung den Jüngern gegenüber, also doch eine Art von Belehrung. Nein, es ist für Gott bestimmt, aber die Jünger – und damit auch wir – dürfen zuhören. Und gerade weil wir zuhören dürfen bei einer Sache, die sich allein zwischen dem Sohn und dem Vater abspielt, gerade darum ist das so etwas Gewaltiges!

Zwiesprache innerhalb der Gottheit hat es immer gegeben, vor Ewigkeiten. Wir sind auserwählt in dem Herrn Jesus vor Grundlegung der Welt. Da konnte kein Mensch zuhören – natürlich nicht, weil es damals keine Menschen gab. Aber auch später: Was im Himmel innerhalb der Gottheit geschieht, können Menschen nicht zur Kenntnis nehmen. Aber wenn jemals Menschen ein wenig Kenntnis haben sollten, was das eigentlich ist, dieses Verhältnis des Vaters zum Sohn, dann musste der Sohn auf diese Erde kommen. Anders war es nicht möglich, Menschen Kenntnis zu geben von dem Verhältnis zwischen dem Vater und dem Sohn.

Es ist vielleicht ein Gedanke, den wir weniger haben! Wir denken daran, dass der Herr Jesus auf diese Erde kommen musste, um das Werk von Golgatha zu vollbringen – richtig! Wir denken daran, dass Er auf diese Erde kommen musste, um Gott zu verherrlichen – richtig! Aber wenn es darum geht, dass Er auf diese Erde gekommen ist, um uns den Vater kundzumachen, dann umfasst das nicht nur die Belehrungen über den Vater, sondern dann umfasst das auch diesen besonderen Blick, der uns gestattet wird in dieses wunderbare Verhältnis zwischen dem Vater und dem Sohn. Damit wir diesen Einblick bekommen könnten, musste gleichsam der eine der beiden „Gesprächspartner“ bis auf diese Erde kommen und von hier aus zum Vater reden. Da war es möglich, dass wir zuhören konnten.

Es will mir immer so erscheinen, als ob Gott hier gleichsam eine Tür einen Spalt weit öffnet und uns herzuwinkt und einlädt: „Hier könnt ihr einmal etwas hören, was eigentlich nicht für eure Ohren bestimmt ist. Ihr dürft einmal fünf Minuten zuhören.“ Dass man dann gleichsam auf Zehenspitzen dahingeht, das können wir gut verstehen.

Ich möchte einmal diesen bekannten Ausspruch, den ja Gott an Mose am Dornbursch richtet, ein wenig in dieser Beziehung anwenden: „Ziehe deine Schuhe aus von deinen Füßen“. Wir wissen ja, dieses Ausziehen der Schuhe bedeutet, dass wir alles ablegen müssen, was uns auf dem Weg verunreinigt. Das können wir nicht in die Gegenwart des heiligen Gottes bringen. Aber vielleicht muss man auch seine Schuhe ausziehen, um selbst nicht in Erscheinung zu treten, um gleichsam unbemerkt hier einmal zuzuhören.

Dieses Gebet hier in Johannes 17 ist kein Mustergebet, es ist keine Anweisung für die Jünger oder für uns zum Beten, sondern, so möchte ich sagen, es ist gerade das Gegenteil davon. Es ist ein Zeugnis davon, dass diejenigen, die den Vater kennengelernt haben, kein Mustergebet mehr brauchen, dass sie keiner Anweisung, keiner Anleitung zum Beten mehr bedürfen, sondern dass sie staunend zuhören dürfen, wie der Sohn Gottes von der Erde aus zum Vater redet, und dann erkennen sollten: „Ja, in diese Stellung als Kinder vor dem Vater sind auch wir eingeführt.“ Es ist unser Vorrecht, auch als Kinder zu dem Vater zu reden.